Glücksrad

Das grosse Radfenster (um 1225) stellt ein monumentales Glücksrad dar, an dem steigende, thronende und stürzende Figuren auf- und absteigen. Damit wurde den Gläubigen eine urmenschliche Erfahrung vor Augen geführt: dass das Leben ein Auf und Ab ist, mit Glücks- und Unglücksphasen. Am Beispiel des Königs, der für einen Moment zuoberst auf dem Glücksrad thront, wird vor Augen geführt, wie riskant und unberechenbar selbst das Leben eines Herrschers im Mittelalter war: er war Kriegen, politischen und historischen Ereignissen ausgesetzt, die Leib und Leben bedrohten. 

Die Schicksalsgöttin Fortuna, die sonst das Rad dreht, ist am Basler Glücksrad nicht wiedergegeben, aber dem mittelalterlichen Betrachter bekannt. Das Rad mahnte diesen, sich nicht dem glücksversprechenden, aber unberechenbaren Treiben der Göttin auszusetzen, sondern Christus zu folgen. Das mittelalterliche Bild der Fortuna prägte der spätantike Philosoph Boethius. In seinen fünf Büchern «Trost der Philosophie» verstand er Fortuna als Produkt der göttlichen Weisheit, als Werkzeug Gottes, das die Menschen schliesslich zum alleinigen Vertrauen in Gott führte. Anhand des Bildes des Rades lokalisierte er den göttlichen Geist im Zentrum der Nabe, im Zentrum des Kosmos. Um diesen Mittelpunkt entfalte sich der Lauf der Erde mit den innewohnenden Menschen. Je weiter sich diese vom göttlichen Zentrum entfernten, desto mehr seien sie dem weltlichen Schicksal und seiner Göttin Fortuna ausgeliefert. Die antike Fortuna hatte so auch in der christlichen Weltordnung ihre Aufgabe. Ob im Sinne des Boethius am Basler Münster in der Nabe, d. h. im dortigen Glasfenster, ein Antlitz Christi dargestellt war, ist nicht mehr eruierbar.

Glücksräder wurden im Mittelalter vielfach in der Buchmalerei, seltener an Architektur abgebildet, z.B. an San Zeno in Verona oder an St. Etienne in Beauvais.

Nabe und Speichen am Basler Glücksradbestanden bis ins 19. Jahrhundert aus Eichenholz (Originale im Museum Kleines Klingental Basel) und wurden dann in Sandstein ersetzt. Eine Holzalterbestimmung datiert das Fenster in die Zeit um 1225.